Geplante Regeländerungen der IHF
„Es wurde viel vermischt“ – IHF-Experte Prause mit Klarstellungen zu geplanten Regeländerungen
Blaue Karte, begrenzte Passzahl beim passiven Spiel und Sonderregel für die letzten 30 Sekunden: In der vergangenen Woche wurden die geplanten Regeländerungen des Weltverbandes IHF in der Handball-Szene heftigst diskutiert. Manfred Prause, Vorsitzender der Regel- und Schiedsrichterkommission der IHF, erklärt für handball-world.com nun detailliert die geplanten Änderungen und räumt mit Missverständnissen auf. „Es wurde viel vermischt, ich möchte die Diskussion gerne versachlichen“, so der Regel-Fachmann. Von den geplanten Reformen ist er überzeugt: „Wir haben viel positives Feedback bekommen. Ich habe den Eindruck, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“
Die größte Aufmerksamkeit bekommt die neu geschaffene „Blaue Karte“, die wie alle anderen Regeländerungen erstmals bei den Junioren- und Jugendweltmeisterschaften in Brasilien und Russland getestet wurde. Hintergrund der neuen Farbe: Begeht ein Spieler derzeit eine Unsportlichkeit, die mit einer rote Karte geahndet wird, ist meist nicht deutlich, ob diese Disqualifikation einen Bericht und damit eine automatische Sperre nach sich zieht oder nicht.
Sollte das in Zukunft der Fall sein, so der Sinn der Regel, zeigen die Unparteiischen nach der roten Karte in Richtung des Kampfgerichts noch die Blaue Karte, um deutlich zu machen, dass sie einen Bericht anfertigen werden. „Eigentlich ist die Blaue Karte somit keine Regeländerung, sondern ein zusätzlicher Service – damit alle Leute in der Halle wissen: Ah, da steckt mehr hinter!“, erklärt Prause.
In Bezug auf diese Regeländerung schrieb Sport1 unter Berufung auf das Fachmagazin Handball Inside: „Durch die Einführung einer Blauen Karte sollen im Handball zukünftig Regelverstöße in den letzten dreißig Sekunden eines Spiels härter bestraft werden.“ Dieser Darstellung widerspricht Prause: „Die blaue Karte kann von der ersten bis zur sechzigsten Minute gezeigt werden – sie hat mit der Reform der Regel zur letzten Minuten nichts zu tun.“
Besagte Regeländerung zur letzten Minute wird seit dieser Saison bereits in der HBL und der HBF getestet. Begeht ein Abwehrspieler in den letzten dreißig Sekunden eine grobe Regelwidrigkeit oder unterbindet regelwidrig eine Wurfausführung (Anwurf, Abwurf, Freiwurf, Einwurf), erhält er nun eine rote Karte ohne Bericht – und die andere Mannschaft automatisch einen Siebenmeter. „Damit wollen wir bewusst unsportliches Verhalten am Ende des Spieles vermeiden“, erklärt Prause. „Bisher erhielt ein Spieler bei solchen Unsportlichkeiten in letzter Minute eine rote Karte mit Bericht und damit eine Sperre – aber die gegnerische Mannschaft hatte davon nichts.“
Die Siebenmeter-Regelung umfasst jedoch keineswegs jedes Foul in den letzten dreißig Sekunden: „Festmachen ist weiterhin ein einfacher Freiwurf“, stellt Prause klar. „Es kann ja nicht sein, dass in den letzten dreißig Sekunden jedes Foul in der Spielfortsetzung ein Siebenmeter ist. Nur Fouls, die sowieso eine rote Karte nach sich ziehen, sind von der Änderung betroffen – ansonsten dreht sich die Regel um Vergehen, wenn der Ball nicht im Spiel ist.“
Man wolle mit der Änderung verhindern, „dass durch bewusste Unsportlichkeit die letzte Chance einer Mannschaft zerstört wird“. Zur Anwendung kam die Regel unter anderem bereits beim Bundesligaspiel zwischen dem TBV Lemgo und der HSG Wetzlar, das dank eines Siebenmeters für die Mittelhessen kurz vor Schluss am Ende 22:22 ausging.
Auch der ewige Streitfall „passives Spiel“ soll vereinfacht werden. Nach Anzeigen des Warnzeichens muss die Mannschaft den Angriff nach sechs Pässen abschließen. Nach diesen sechs Pässen wird von den Schiedsrichtern auf Zeitspiel entschieden. Bei einer Freiwurfentscheidung für die angreifende Mannschaft ist jedoch immer ein Pass erlaubt, auch wenn zuvor bereits sechs Pässe gespielt waren.
Die Einschränkung soll das rein subjektive Entscheiden der Schiedsrichter ein wenig verbessern. Prause: „Es sind Trainer zu uns gekommen, die gelobt haben: Endlich weiß man, wann etwa gepfiffen wird.“ Für das Zählen der Pässe sind die Unparteiischen verantwortlich. Prause macht jedoch auch deutlich: „Es kann kein Protestfall sein, wenn der Schiedsrichter einen siebten Pass zulässt.“
Eine weitere Reform betrifft den Umgang mit verletzten Spielern. „Die Grundidee ist es, Situationen zu vermeiden, in denen ein Spieler eine Verletzung vortäuscht und medizinische Hilfe anfordert, um das Spiel zu unterbrechen“, erklärt Prause. Wird es also nötig, dass die Unparteiischen einen Mannschaftsoffiziellen zur Behandlung aufs Feld winken, muss der Spieler die Spielfläche verlassen und drei Angriffe pausieren. Das Team darf selbstverständlich mit einem anderen Akteur wieder auffüllen. Diese Regelung wurde bei den Junioren- und Jugend Weltmeisterschaften in Brasilien und Russland getestet und fand große Zustimmung von den Trainern.
Von dieser Drei-Angriff-Pause gibt es indes zwei Ausnahmen: Wenn der Gegenspieler der Zweikampfsituation eine progressive Bestrafung erhält, entfällt diese Regelung für den behandelten Spieler. Gleiches gilt, wenn der Torwart am Kopf getroffen wird und Behandlung braucht. „Er muss die Fläche nicht verlassen, das wäre ja auch unlogisch“, sagt Prause. Die Kontrolle der drei Angriffe obliegt dem Kampfgericht. Bei den Nachwuchs-Turnieren in Brasilien und Russland wurde eine weiße Karte aufgestellt. Prause: „Solange die am Kampfgericht aufgestellt ist, darf der betreffende Spieler die Spielfläche nicht betreten.“ Er gibt jedoch auch zu: „Das ist vielleicht noch nicht der Weisheit letzter Schluss.“
Die fünfte und letzte Regeländerung betrifft die Kennzeichnung des zusätzlichen Feldspielers. Ein Leibchen ist demnach nicht mehr nötig, um einen 7. Feldspieler als Torwart zu kennzeichnen. „Im Falle des Ballverlustes muss jedoch ein Feldspieler die Spielfläche verlassen, bevor der Torwart wieder in den Torraum zurückkehren darf“, führt Prause aus. Diese neue Variante wird derzeit in der isländischen Liga getestet. Diese Reglung ist für die Mannschaften jedoch nicht zwingend. Sie können den 7. Feldspieler auch weiterhin mit einem Leibchen kennzeichnen. Diese darf dann selbstverständlich auch als Torwart im Torraum seiner Mannschaft agieren.
Insgesamt wurden bisher 180 Spiele bei den Jugend- und Juniorenweltmeisterschaften nach diesen Regelvorschlägen gespielt. Eventuell werden die Änderungen auch bei der Frauen-WM in Dänemark in diesem Dezember zum Einsatz kommen. „Das wird der Rat der IHF entscheiden“, verweist Prause auf die Sitzung des Weltverbandes Anfang November in Russland. „Ich würde es gut finden, wenn die Änderungen bei der WM angewendet werden“, bezieht der Regel-Fachmann deutlich Position. „Einfach, weil die Änderungen gut ankommen.“
Die IHF hatte 2014 in Dänemark ein Forum unter dem Motto „Handball in der Zukunft“ abgehalten. Mögliche Regeländerungen/Verbesserungen wurden hierbei in einer Arbeitsgruppe mit bekannten Trainern wie: Talant Dushebaew, Ulrich Wilbek, Staffan Olsson, Gudmundur Gusmunsson, Michael Biegler und Heiner Brand diskutiert. Heiner Brand ist zudem Mitglied in der Regel-und Schiedsrichterkommission sowie in der Regelarbeitsgruppe.
Quelle: www.handball-world.com