„Alles muss ineinander greifen“
Frauenhandball-Bundesliga: Blombergs Trainer André Fuhr zu Gast bei der LZ-Sportredaktion.
Sein 13. Jahr als Trainer beim Frauenhandball-Bundesligisten HSG Blomberg-Lippe behält André Fuhr in bester Erinnerung. Rang sieben in der Liga und der Einzug ins Viertelfinale des Europapokals sorgten bundesweit für großes Aufsehen.
Blomberg. Anfang der Woche hat Fuhr sein Team in den wohlverdienten Urlaub geschickt. Am 4. Juli geht es wieder in die Vorbereitung. Bei einem Besuch in der LZ-Sportredaktion im Medien Centrum Giesdorf (Detmold) nahm der 44-Jährige zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Stellung.
Wie stufen Sie die zurückliegende Saison ein?
André Fuhr: Das war schon eine interessante Serie. Wir wollten so rasch wie möglich 16 Punkte einstreichen, um den Klassenerhalt zu sichern. Das ist dann relativ schnell gelungen – und dann haben wir uns neue Ziele setzen müssen, damit es nicht beliebig wird. Am Ende standen wir mit 31 Zählern da und haben mit begeisternden Spielen wie gegen Leverkusen, Leipzig, Bietigheim oder Berlin die Begeisterung und die Sympathie bei den Fans noch verstärkt. Wir haben nach jüngsten Erhebungen zehn Prozent mehr Auslastung an der Ulmenallee gehabt. Zudem haben wir im Europapokal in Weißrussland, Kroatien und auch Ungarn bestens bestanden. Bessere Teambuildingmaßnahmen als die Fahrten ins Ausland gibt es nicht. Manko: Bei einem Gesamtvolumen von 60.000 bis 70.000 Euro haben wir im Europapokal ein Minus von 30.000 Euro eingefahren. Aber es war auch jeden Euro wert.
Die Mannschaft zeigte enormen Zusammenhalt. Wo liegen die Gründe?
Fuhr: Die Mädels sind im Schnitt unheimlich jung, wir hatten eine sehr flache Hierarchie. Da musste jede Spielerin Verantwortung übernehmen. Das hat auch jede getan. Vor allem aber einige Spielerinnen wie Laura Magelinskas, die toll in die Rolle der Strategin geschlüpft ist. Xenia Smits, die für mich zu den besten fünf Spielerinnen der Bundesliga gehört und unsere Seele war. Isabell Roch hat ihre beste Saison gespielt und nach der Erkrankung von Anna Monz allein die Verantwortung im Tor angenommen. Zudem Franziska Müller, für mich die beste Linksaußen der Liga überhaupt, auch wenn es der aktuelle Bundestrainer anders sieht. Und auch Alicia Stolle, die sich gut entwickelt hat, in der Abwehr eine Bank ist und vorn noch ihr ganzes Potenzial entwickeln wird.
Acht Spielerinnen gehen, viele neue kommen. Wie sieht die Zukunft aus?
Fuhr: Die Lücken sind nur schwer zu schließen. Die Gesamtumstände machen Bundesliga in Blomberg schwer darstellbar. Unser Ziel ist es, junge Spielerinnen, die sich beweisen wollen, an die Liga heranzuführen. Um diese Talente zu entdecken, betreiben wir ein extremes, zeitaufwendiges Scouting. Ich habe noch nie so viele Videos geschaut wie in diesem Jahr, wir fahren überall hin, reden, verhandeln. Zudem müssen wir an den Personalkosten einsparen. Mit Etats wie in Bietigheim (der soll 2 Millionen Euro betragen, Anm. der Redaktion) oder Weibern (über 1 Million Euro, Anm. der Redaktion) können wir nicht mithalten. Die HSG ist nicht der klassische Europapokal-Aspirant. Wir wollen einfach drin bleiben.“
Wem trauen Sie als nächstes den Sprung in den Bundesliga-Kader zu?
Fuhr: „Wir haben eine sehr gute A- und B-Jugend. Aus heutiger Sicht sind Leoni Oehme, Kaja Ziegenbein und Nele Franz am nächsten dran und absolvieren auch die Vorbereitung mit der ersten Mannschaft. Allerdings kommt es zu einem schweren Bruch im Juli bis Anfang August. Dann nehmen Alicia Stolle, Kathrin Pichlmeier und Kaja Ziegenbein an der Juniorinnen-Europameisterschaft in Spanien teil und fehlen uns.“
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, eine andere Mannschaft zu coachen?
Fuhr: Natürlich habe ich darüber schon nachgedacht. Und ich mache auch keinen Hehl daraus, dass ich gern einmal in den Männerbereich wechseln würde. Ich bin mir sicher, dass sich in der 2. Liga einiges adaptieren ließe aus dem Frauenbereich. In Blomberg herrscht eine gute Chemie zwischen Trainer, Team, Fans und Verantwortlichen in Beirat und Geschäftsführung. Bei aller Schnelllebigkeit: Für mich ist dieser Zustand die größte Auszeichnung. Alles muss ineinander greifen. Und wenn ich einmal gehen sollte: Jeder ist zu ersetzen. In der Rolle als Lebensversicherung fühle ich mich nicht wohl. Ich weiß allerdings auch, dass es nach so langen Jahren für einen Nachfolger schwierig ist. Da belegen zahlreiche Beispiele, selbst in Blomberg. Denken Sie nur an Dago Leukefeld. Ich müsste auf jeden Fall die Stadt und die Region verlassen, wenn es einmal zukünftig zu einer Trennung kommen sollte.
Sie wurden auch als Bundestrainer gehandelt.
Fuhr: Ja, das stimmt. Es gab eine Anfrage von Mark Schober, Generalsekretär des Deutschen Handball-Bundes. Ich habe dann ein umfassendes Konzept abgegeben mit dem Schwerpunkt ,Perspektiven des deutschen Frauenhandballs?. Dann hat sich nach einem monatelangen Prozess der Deutsche Handball Bund für einen anderen Mann entschieden. Diese Entscheidung ist zu respektieren. Meine Enttäuschung war relativ groß, weil wir nicht zuletzt mit unserem Konzept der Nachwuchsförderung und des Stils unseres Spiels in der Bundesliga durchaus Nachahmer gefunden haben.
Fehlt es Ihnen zuweilen am Selbstmarketing?
Fuhr: Ich weiß, dass ich polarisiere. Aber ich stehe eben für Konsequenz, gehe meinen Weg und man muss als Trainer auch manchmal Grenzen setzen. Das finden nicht alle gut. Im Vergleich zu anderen Zeiten hat es sicher auch einen Wandel gegeben. Ich pflege mit dem Großteil meiner Kollegen ein gutes Miteinander. Mit einigen sogar ein sehr gutes.
Wie groß ist die Vorfreude auf die kommende Saison?
Fuhr: Wir haben acht Spielerinnen ziehen lassen müssen. Und die neuen sind teilweise noch recht unerfahren. Dessen sind wir uns bewusst. Man weiß vorher nie, wie es mit Heimweh bei den Ausländerinnen aussieht, wie sie sich integrieren, wie und ob sie richtig Fuß fassen. Das ist alles schwer planbar, es sind alles ganz junge Menschen. Vom Wohlbefinden hängt oft auch die Leistung auf dem Spielfeld ab. Zudem: Ich bin zwar Bayern-Fan, sehe uns aber in der Rolle des SC Freiburg. Dessen Konzept ist mir sympathisch. Mit anderen Worten: Die Vorfreude ist groß, aber man weiß nie, was dann wirklich passiert.
Das Interview führte LZ-Redakteur Dietmar Welle
Quelle: Lippische Landes-Zeitung